Mittwoch, 13. Februar 2013

Wenn das Benehmen unserer Kinder zum Hilferuf wird

Christiane Jurczik

Das Robert-Koch-Institut gibt die Zahlen bekannt: Etwa jdes fünfte Kind ist auffällig, 21,9 Prozent. Jedes zehnte Kind braucht therapeutische Hilfe stellt die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin fest.

Sie haben Termine in psychologischen Beratungsstellen, um dort zu üben, wie man ruhig sitzt, normal isst, sich zu wehren oder zurückzunehmen. Zu den auffälligsten Verhaltensdefiziten gehören Aggressionen, Aufmerksamkeitsdefizite, extreme Ängste und Essstörungen. Entgegen der allgemeinen Meinung ist der Anteil dieser Diagnosen konstant geblieben. Was also läuft falsch bei unseren Kindern?

Professor Franz Resch, Ärztlicher Direktor der Uniklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Heidelberg erklärt, dass viele Kinder unter zu großem Druck stehen.

Es ist ein Zeichen für Not, wenn Kinder auffälliges Verhalten zeigen.

Dies bestätigt auch Ulrike Mattern- Ott, Psychotherapeutin aus Bonn. "Wir sprechen hier nicht von Kindern, die durch schwere Vernachlässigung, Gewalt oder einem drogenkranken Elternhaus traumatisiert sind. Wir sprechen von ganz normalen Kindern, denen der Druck zu viel wird. Sei es durch die Schule, durch ihre Familie oder durch die Freunde." Wer im G8 bestehen muss, ein Zuhause mit vier Elternteilen und mehreren Halbgeschwistern hat, wer im Kindergarten zu großen Gruppen nicht gewachsen ist oder einfach ein bisschen langsamer in seiner Entwicklung, kann überfordert sein. Und wie zeigt man das als Kind, wenn Wortschatz und reflektierendes Denken noch nicht gelernt sind? Genau: durch das Benehmen.

In Kindergärten und Schulen werde zunehmend "pathologisiert", das heißt, Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten würden nicht mit den Mitteln der Erziehungswissenschaft "behandelt", sondern zum Arzt geschickt. "So kann es nicht weitergehen." Sagt der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (bvkj)

Oft fehlt die Zeit für Kinder

"Primär hat das aber nichts mit mangelnder Erziehungskompetenz zu tun", sagt Psychiater Resch, "Eltern wissen in der Regel, was gut für ihr Kind ist." Doch wer keine Arbeit hat und Geldsorgen, kranke Angehörige pflegen muss oder sonst in beengten Möglichkeiten lebt, hat nicht genügend Ressourcen, sich den Kindern zu widmen. "Deshalb kann es zu emotionalen Dialogstörungen kommen, die sich in kindlichen Entwicklungsstörungen äußern.

Aber auch in gut situierte Mittelschichtkinders treten eine wachsende Zahl von Kindern auf, die mit den hohen Anforderungen nicht zurechtkommen. Sie werden zu aggressiven Mobbern oder werden selbst gemobbt. "Die Stressoren in der Mittelschicht sind anders, aber ebenso groß. Der allgemeine gesellschaftliche Druck und die Beschleunigung vieler Prozesse im Erwerbsleben sorgen für die Überforderung der Erwachsenen und somit auch der Kinder“, sagt Professor Resch.

Vor 30 Jahren wurde Kindern Zeit gelassen, um Defizite auszugleichen. Heute werden sie einem psycho-neurologischen Komplett-Check unterworfen.

Was ist eigentlich normal?

Die Bezeichnung für das, was in unserer Gesellschaft als „normal“ gesehen wird, ist enger geworden. Sehr schnell werden Diagnosen und Meinungen abgegeben. Heute hat Jeder zu allem eine Meinung – extrem positiv oder extrem negativ. Mit großer Wahrscheinlichkeit liegt das an der heutigen Werbung, Medien- und TV-Gestaltung. Der Temperamentvolle wird als „aufmerksamkeitsgestört“ bezeichnet, der Stille als „depressiv“.

Was kann helfen?

Ein gutes soziales Netzwerk und positive soziale Beziehungen sind wichtig für alle und können davor schützen, Störungen zu entwickeln.

Die Forschungen zur "Psychoimmunologie" zeigen, dass Menschen, denen Zuspruch von ihrer Familie und von Freunden bekommen, über gute Bindungen verfügen, weniger Stresshormone im Blut haben und mehr Botenstoffe, die Optimismus, Selbstbewusstsein und Lernvermögen transportieren. Dabei brauchen viele Familien Unterstützung.

Dabei den Blickwinkel zu ändern und Auffälligkeiten als das zu sehen was sie sind: ein Hilferuf.
Abgesehen von Zeit und finanzieller Unabhängigkeit ist das Wichtigste, zu seinem Kind zu stehen, es so anzunehmen wie es ist und von dort aus gemeinsam Lösungen finden.